„Du musst immer an ihn denken, obwohl du nicht willst. Chronischer Schmerz ist sehr penetrant wie ein Ohrwurm. Nichts scheint dagegen zu helfen – oft nicht mal mehr Ibuprofen.“ So tönt es in der Schmerzsprechstunde beim Menschen. Gilt dies für den Hund auch? Man könnte es meinen, so wie Tierärzte bei sogenannt „chronischen Schmerzpatienten“ Gabapentin, Triptane und andere zentral wirkende Schmerzmittel verschreiben. Vor allem der Einsatz von Gabapentin bei Arthrosen ist bei Tierärzten sehr beliebt, aber absolut falsch und entfaltet auf keinen Fall die gewünschten Ergebnisse in der Schmerztherapie. Das Gabapentin wirkt bei neuropathischen Schmerzen, die Arthrose ist kein neuropathischer Schmerz. Das Ziel dieser Medikation ist, dass der Hund ruhiger wird. Diese Idee oder dieser falsche Einsatz dieser Medikamente kann unter anderem zu fatalen Folgen führen, wie unser heutiges Beispiel aus meiner Praxis Ihnen zeigen wird.
Beim Hund wird leider chronisch mit langanhaltendem Schmerz verwechselt. Das Resultat davon ist ein gesteigerter Einsatz von diesen Neuroleptika bei sogenannten Schmerzpatienten. Sie können jetzt denken, was ist hier der Unterschied. Der ist ziemlich groß. Gerade ein langanhaltender Schmerz chronifiziert. Dies bedeutet, das andere Strukturen, gerade wenn wir dies im Bewegungsapparat haben, in Mitleidenschaft gezogen werden. Somit kommt es zu einer Fehl- und Überlastung und strahlt somit auf den ganzen Bewegungsapparat aus.
Wir kennen alle den akuten Schmerz. Wir stoßen den Kopf an einer Dachkante oder klemmen den Finger ein oder schlagen mit dem Hammer auf dem Finger. Diese Liste könnten wir unzählig verlängern. Dies ist beim Hund dasselbe. Er wird von einem anderen Hund gerempelt und macht einen Überschlag und entlastet im Anschluss die Gliedmaße oder klemmt sich die Pfote am Weiderost ein. Das tut weh, der Hund jault auf und hinkt. Keine Frage eine akute Schmerzsituation. Entweder Sie können Ihren Hund selber verarzten oder Sie gehen zum Tierarzt. Eine adäquate Therapie wird eingeleitet und in ein paar Tagen ist der Spuk vorbei.
Ausschliesslich zeitbezogene Definition für Schmerzen mit einer ununterbrochenen Schmerzdauer von mindestens sechs Monaten, beim Hund kann dies auch auf den Zeitraum von 3 – 6 Monate bezogen werden.
Ist ein chronischer Schmerz mit Folgen/ Beeinträchtigung auf somatischer, psychischer uns sozialer Ebene. Dies bedeutet beim Hund, bei langanhaltendem Schmerz im Rücken, als Beispiel einer Bandschiebe oder Übergangswirbel, dass die Bewegung angepasst wird. Dies bedeutet, der Hund hat zu wenig Schub in der Hinterhand und kompensiert dies über einen pull-move der Vorhand. Die beiden Schultergliedmassen verrichten nun Statik und Dynamik in einem. Dies ist tägliches Brot bei mir in der Praxis.
Der psychische Aspekt beim Hund kann Angst oder Aggression bedeuten. Dies ist bei chronischen Schmerzpatienten, vor allem je nach Rasse sehr unterschiedlich. Als Beispiel bei einem Ridge Back kann dies sowohl in Angst aber leider auch in Aggression münzen. Vor allem der zweite Aspekt kann je nach Grösse, Rüde oder Hündin folgenschwere Konsequenzen haben.
Die soziale Komponente bedeutet als Beispiel Rückzug, zum Teil teilnahmslos oder schläfrig und schlapp. Dies gehört zur Kategorie des Leistungsabfalls. Dies ist oft die erste Auswirkung, die ein Besitzer bewusst wahrnimmt im Zusammenhang mit einem Schmerzpatient, ist sich diese aber oft nicht bewusst. Es wird sehr oft auf das Alter zurückgeführt, oder viel schlimmer auf eine Schilddrüsenunterfunktion. Wenn sich dies nicht bestätigt, bleibt die Lustlosigkeit für den Besitzer rätselhaft. Zu diesem Zeitpunkt werden dann die Patienten bei mir in der Praxis vorgestellt.
Dieser Begriff wird oft falsch verstanden und im Zusammenhang mit chronisch gesetzt. Darunter versteht man zentralnervöse, funktionelle und morphologische Reaktionen auf Schmerzreize. Dies sind somit zentralnervöse Reaktionen und Verschaltungen im Hirn, vor allem auch dann, wenn die peripheren Schmerzreize nicht mehr vorhanden sind, feuern diese Schmerzimpulse weiter im Hirn. Kurz gesagt; «pain out of control».
Beim neuropathischen Schmerz handelt es sich um eine nachgewiesene oder vermutete Funktionsstörung oder pathologische Veränderung eines oder mehrerer Nerven (Mononeuropathie oder Polyneuropathie). Als gutes Beispiel beim Hund die Bandscheibenproblematik mit einer Nervenwurzelerkrankung (Radikuloneuritis oder Tumor im Plexus brachialis (Nervenknoten unter der Achsel)).
Die Arthrose stellt ein degenerativer Prozess eines oder mehrerer Gelenke dar. Es ist ein mechanischer und entzündlicher Prozess mit deutlicher funktioneller Einschränkung. Der funktionelle Anteil dieser Pathologie ist sehr wichtig. Dies ist auch der Grund, warum Patienten mit Arthrose allenfalls praktisch keine Lahmheit und/oder Schmerzen aufweisen, wenn das Gelenk funktionell noch teilweise intakt ist. Funktionell bedeutet, dass sich das Gelenk auf Grund der Zubildungen nicht mehr in der von der Anatomie vorgegebenen Bahn bewegen kann, respektive nur noch im Rahmen der Möglichkeit. Dies ist abhängig vom Schweregrad der Arthrose.
Bei der Beurteilung des Schmerzpegels bei der Arthrose ist die Unterscheidung von Bewegungsschmerzen versus Ruheschmerzen, oder noch schlimmer, Liegeschmerz zu machen. Letzterer unterscheidet sich beim Hund darin, dass diese Hunde vor allem in der Nacht sehr oft den Schlaf-Platz wechseln, unruhig sind und viel Hecheln und somit den Schlaf des Besitzers rauben. Ein Teufelskreis, den nun den Besitzer ebenfalls in Mitleidenschaft zieht und Emotionen hervorrufen kann. Was dann wiederum zur Vorstellung des Patienten in der orthopädischen Sprechstunde führt.
Unser heutiger Patient ist ein 8 Jahre alter Windhund. Er wurde im November geimpft. Anlässlich der Impfung und auch im Vorfeld war der Patient gesund. Er wurde ebenfalls regelmässig, jährlich geimpft und entwurmt. Zu diesem Zeitpunkt hat nichts auf die kommende Geschichte hingedeutet. Kurz vor Weihnachten ging es dem Patienten sehr schlecht, hatte Mühe mit der Hinterhand, vor allem beim Laufen, Kraftverlust in der Hinterhand, Schmerzen in der Wirbelsäule sowie Rötung der Pfoten. Zuerst in beiden Vorderpfoten dann alle 4 Pfoten. Die Besitzerin ging zu PTA, hatte den Hund untersucht. Da die Propriozeption in der Hinterhand verlangsamt war, wurde den Verdacht eines neurologischen Prozesses geäussert. Daraufhin wurde Gabapentin eingesetzt. Einige Stunden nach der Verabreichung von Gabapentin war der Hund in allen vier Gliedmaßen gelähmt, eine Tetraparese. Da diese Lähmung nicht erwartet wurde, wurde der Hund an den Neurologen überweisen. Weitere Untersuchungen, neurologische Expertise, Laboruntersuchung sowie eine MRT wurden durchgeführt.
Es gab keine Hinweise sowie Ergebnisse, die das klinische Bild erklären und bestätigen würde. Sämtliche Laborergebnisse waren ebenfalls unauffällig.
Das Gabapentin wurde weiter verabreicht. Zusätzlich kamen Antibiotika sowie Prednisolon zum Einsatz. Kurzfristig keine Verbesserung, erst beim Absetzen von Gabapentin erholte sich die Tetraparese langsam. Das Kortison sowie die Antibiotika wurden weiter verabreicht. Im MRT wurde ein Befund erhoben, konnte aber nicht mit Sicherheit für die vorhandene Klinik des Hundes verantwortlich gemacht werden.
Befund aus dem MRT:
Fokale V-förmige Läsion / Myelopathie der dorsalen Funiculus auf Höhe von C3-4 - Differenzialdiagnosen: degenerative Veränderungen wie Gliose, fokale Myelitis, sensorische Neuropathie. Leicht- bis mittelgradige Degeneration der Bandscheiben C3-7 mit minimaler Produktion ohne Kompression des Rückenmarkes. Morphologisch unauffälliges Gehirn.
Bemerkungen Die klinische Relevanz der V-förmige Läsion auf Höhe von C3-4 ist fraglich. Eine sensorische Neuropathie wie eine Ganglioradiculitis kann aber nicht ausgeschlossen werden und könnte Teil der Symptome erklären. Eine definitive Diagnose ist leider nur histologisch möglich.
Der Patient läuft in Rechtsaussenstellung, dazu zeigt er eine deutliche ataktische Bewegung in der Hinterhand. Asymmetrie im Becken sowie einen Varus im linken Ellenbogen. Es ist sicher, dass die Bewegung nach einer Paralyse sehr gut ist, entspricht aber dennoch nicht der normalen Bewegung. Die Kopfhaltung ist rechts verkippt, Atrophie Rückbildung der Muskeln der Temporalis sowie Masseter rechts, Halswirbelsäule ist rechts nach lateral verbogen, die ROM der Halswirbelsäule, vor allem rechtsseitig zeigt deutliche Restriktionen.
Funktionelle Unterschiede sind ebenfalls in der Schulter rechts sowie Ellenbogen rechts auszumachen. Die Varus Position im linken Ellenbogen ist das Resultat der Fehl- und Überlastung aus der rechten Seite.
Nach der funktionellen orthopädischen Untersuchung wurde der Patient orthopädisch manuell, kinematisch kontrolliert behandelt. Die hell blauen Balken sind die Resultate vor der orthopädischen Behandlung, die dunkel blauen die Resultate unmittelbar danach.
Die violetten Balken waren die Resultate der Bewegungsanalyse anlässlich des Kontrollbesuches 3 Wochen später, wurde nach der funktionellen orthopädischen Untersuchung wiederum behandelt und die Werte nach der zweiten orthopädischen Behandlung sind somit schwarz.
Die Behandlung zielte einerseits auf die Halswirbelsäule sowie auf den Kopf, genauer auf die motorische Koordination im Grosshirn, der rechte Frontallappen. Die Ergebnisse sind sehr positiv.
Fazit: durch die orthopädisch kinematische Untersuchung und Behandlung kann man festhalten, dass die Veränderungen der Halswirbelsäule eine klinische Relevanz einnehmen. Diese wurde aber durch ein mechanisch-stumpf traumatisches Ereignis erst ausgelöst. Dies wurde durch die zwei funktionell orthopädischen Behandlungen erfolgreich gelöst. Nun beginnt die Rehabilitation und Regenerationsphase. Dies erfolgt durch die Schwimmtherapie.
Wie aus diesem Beispiel leider ersichtlich wird, ist die Tatsache, dass Tierärzte immer wieder bei neurologischen Befunden sofort Gabapentin einsetzten. In diesem Fall wird dies als Analogie-Schluss gezogen. Neurologisches Defizit gleich Therapie mit Gabapentin. Ob eine funktionelle Störung von Nerven vorhanden ist, oder ob diese schmerzhaft ist, ist nicht Gegenstand der Fragestellung. Es wäre sicher wünschenswert, dass dies weiter differenziert würde. Es ist somit offensichtlich, dass der Einsatz von Gabapentin wohl überlegt werden will.
Es ist auch zu beachten, dass diese Medikation nicht bei allen Rassen sowie Individuen gleich gut verträglich ist. Vor allem bei Windhunden sollte dies allenfalls gut überlegt werden, ob ein Einsatz mit Gabapentin sinnvoll erscheint. Es sind die positiven therapeutischen Erfolge den potentiellen Nebenwirkungen einander gegenüber zu stellen und abzuwägen, was nun als Therapie sinnvoll erscheint. Dies ist auch mein persönlicher Standpunkt als Besitzer von Windhunden und als Tierarzt.
Ein weiterer Aspekt ist der Einsatz von Gabapentin bei Arthrosen. Die Arthrose weisst auf keinen Fall einen neuropathischen Schmerz auf und somit ist die Therapie mit Gabapentin bei Arthrosen eine absolute Fehlindikation für den Einsatz für dieses Medikament. Bei diesem Einsatz sollte rasch ein Umdenken bei den Tierärzten erfolgen. Vor 10 Jahren habe ich versucht einen Test für die neurogene Entzündung im Rosenheim, Basel zu entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt waren vorhandene Möglichkeiten zum Nachweis der Substanz P sowie Calcitonin Gene Related Hormon schwierig. Und trotzdem werden wir in Kürze diesbezüglich einen bedeutenden Schritt in der Therapie der Arthrose machen können.
Die Arthrose weisst Schmerzen auf, die bei Beginn der Bewegung oder bei einer längeren Belastung klinisch manifest sind. Auf diesen Umstand habe ich am Anfang bereits hingewiesen.
Es ist ein funktioneller Schmerz und vor allem ein chronifizierter Schmerz mit einer Fehl- und Überlastungshaltung. Gerade hier kann die funktionelle Diagnostik der Bewegungs-Analyse in Zukunft einen grossen Dienst erweisen. Auch die Therapie der neurogenen Entzündung wird daran in Zukunft nichts ändern. Wenn das Verständnis der Arthrose in Zukunft als mechanisch-entzündlicher Schmerzprozess verstanden wird und auch auf diese Weise diagnostiziert und dargestellt wird, kann die Arthrose Therapie wirklich Fortschritte machen.
Der Einsatz von Gabapentin bei Arthrose hat keine Wirkung, da diese Schmerzen nicht neuropathisch sind. Das Ziel der Therapie ist einzig und alleine den Hund zu sedieren, der Hund ist somit müde, die Wahrnehmung von Schmerzen ist nicht reduziert, nur die Aktivität wird reduziert. Somit wird ein Ziel erreicht, der Hund will sich nicht mehr bewegen, da er müde ist. Dies bedeutet Leistungsabfall und in der Folge machen sich die Besitzer wiederum Sorgen. Ist dies das Ziel einer Therapie? Diese Frage sollte sich jeder Hundebesitzer selber beantworten.
Auf das Thema der Arthrose werden wir in einem der nächsten Newsletter eingehen und die Ursachen und Folgen sowie Therapieoptionen von verschiedenen Seiten her betrachten.